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In The Heart of the Sea (2015) – Über einen rachsüchtigen Wal und homphile Kannibalen

In der heutigen Filmgeschichte geht es um das tragische Schicksal des Walfangschiffs Essex, das 1820 von einem gigantischen Pottwal angegriffen und versenkt wurde. Die schiffbrüchige Crew segelte in der Folge knapp drei Monate über den Pazifik, bevor ein kleiner Teil der Männer gerettet werden konnte. Diese Geschichte inspirierte nicht nur den amerikanischen Autor Herman Melville zu seinem Romanklassiker „Moby Dick“, sondern auch Ron Howard zu seinem Abenteuer-Drama „In the Heart of the Sea“ aus dem Jahr 2015.

Zwischen Fiktion und Geschichte

Bei Ron Howards „Im Herzen der See“ handelt es sich nicht um die Verfilmung des Romans „Moby-Dick; oder: Der Wal“. Kenner/innen des 1851 erschienenen Klassikers von Herman Melville werden im Film vergeblich auf den Auftritt berühmter Romanfiguren wie Ismael, Kapitän Ahab oder Starbuck warten. Der Film erzählt nicht die fiktive Geschichte eines rachsüchtigen Kapitäns auf der Jagd nach einem großen, weißen Wal. Und dennoch sind Verbindungen zu Melvilles „Moby-Dick“ offensichtlich und nicht von der Hand zu weisen. Immerhin besteht die Rahmenhandlung des Films aus einem Gespräch zwischen dem jungen Herman Melville (Ben Whishaw) und dem letzten Überlebenden der gesunkenen Essex, Thomas Nickerson (Brendon Gleeson).

Dieses Treffen zwischen Melville und Nickerson hat jedoch in Wahrheit nie stattgefunden. Nichtsdestotrotz diente der 1821 veröffentlichte Bericht eines anderen Essex-Überlebenden namens Owen Chase, erster Maat während der letzten Fahrt des Walfängers, als die Inspirations- und Informationsquelle für Melvilles Roman. Chases Werk mit dem einprägsamen Titel „Narrative of the Most Extraordinary and Distressing Shipwreck of the Whale-Ship Essex, of Nantucket; Which Was Attacked and Finally Destroyed by a Large Spermaceti-Whale, in the Pazific Ocean; with an Account of the Unparalleled Sufferings of the Captain and Crew during a Space of Ninety-Three Days at Sea, in Open Boats; in the Years 1819 & 1820.“ erschien von einem Ghostwriter geschrieben bereits wenige Monate nachdem sich die Katastrophe um die Essex ereignet hatte und sorgte dafür, dass der durch einen Walangriff verursachte Untergang des Schiffes zu dem vielleicht berühmtesten Schiffsunglück des 19. Jahrhunderts wurde.

Thomas Nickerson war neben Owen Chase ein weiterer Überlebender des Essex-Unglücks. Ähnlich wie Chase verfasste auch er einen Bericht über seine Erlebnisse auf See. Allerdings erst im hohen Alter, viele Jahre nachdem sich das Unglück ereignet hatte. Im Gegensatz zu Chases Bericht, wurden die Erinnerungen Nickersons jedoch niemals veröffentlicht und erst 1960, fast 140 Jahre nach dem Untergang der Essex, durch Zufall auf einem Dachboden gefunden. Dem verstaubten Notizbuch wurde weitere 20 Jahre keine Beachtung geschenkt, bis es 1980 dem Walfangexperten Edouard Stockpole in die Hände fiel, der in den Aufzeichnung den Zeugenbericht eines Essex-Überlebenden erkannte. Nickersons Text ist aus literarischer Sicht deutlich weniger elegant und eloquent als der professionell verfasste Bericht von Owen Chase. Trotzdem sind Nickersons Erinnerungen und Ausführung vor allem deshalb historisch relevant, da sie Chases Schilderungen, die über ein Jahrhundert lang als die Quelle über das Essex-Unglück gesehen wurden, an einigen Stellen widersprechen.

Im Jahr 2000 führte der Amerikaner Nathaniel Philbrick dann die Texte von Chase und Nickerson, so wie einige weitere Quellen und historische Dokumente, in seinem Buch „Im Herzen der See – Die letzte Fahrt des Walfängers Essex“ zu einem umfassenden Bericht zusammen. Ron Howards „Im Herzen der See“ ist letztendlich die Verfilmung dieser Vorlage.

Owen Chase – Der strahlende Held einer Katastrophe

Owen Chase war, dank seines ausführlichen Berichts, nicht nur über Jahrzehnte die Quelle über das Unglück der Essex, sondern auch der erste Maat und damit der ranghöchste Offizier an Bord des Walfängers unter Kapitän George Pollard Jr.

Im Film wird Chase von Chris Hemsworth dargestellt. Die Figur des Australiers hat jedoch, vor allem in der ersten Hälfte des Films, nur wenig mit der realen Person des ersten Maats zu tun. So wird Hemsworths Figur den Zuschauer/innen als aufrichtiger Mann präsentiert, der bei allem Ehrgeiz zu jedem Zeitpunkt seine Menschlichkeit bewahrt und bei nahezu allen Männern an Bord der Essex beliebt ist und respektiert wird. Der echte Chase war davon allerdings weit entfernt. Philbrick beschreibt in seinem Buch hierzu wie sich Chase tatsächlich verhielt, sobald er an Bord ging.

„… von einem ganz vernünftigen jungen Mann mit einer frisch angetrauten Frau namens Peggy in einen brutalen Leuteschinder verwandelte, der sich nicht im Geringsten scheute, Gehorsam mit Gewalt zu erzwingen, und in einer Weise fluchte, die den größtenteils von ihren Müttern und Großmüttern erzogenen Jungen das Blut in den Adern gefrieren ließ.“

Von diesem Wesenzug ist im Film überhaupt nichts zu sehen. Dabei war Chases Standing innerhalb der Crew im Rückblick ein Puzzleteil, das letztendlich zur Katastrophe führte. Nachdem die Essex bereits wenige Tage nach dem Auslaufen in einen Sturm geraten und schwer beschädigt worden war, wollte Captain Pollard zunächst in den heimatlichen Hafen zurückkehren, um Reparaturarbeiten vornehmen zu lassen. Chase drängte ihn jedoch dazu, dies nicht zu tun. Im Film appeliert Chase dabei an das Ehrgefühl des Kapitäns, der bei seiner Entscheidung bedenken solle, was es für den Ruf der beiden höchsten Offiziere der Essex bedeuten würde, wenn sie nach nur wenigen Tagen mit einem demolierten Schiff und noch dazu ohne einen einzigen Tropfen Walöl zurückkehren würden. Tatsächlich dürfte Chase jedoch auch noch etwas Anderes umgetrieben haben. Er wusste, dass ein Großteil der Mannschaft ihn als Vorgesetzen hasste und bei einer Rückkehr nach Nantucket lieber von Bord gehen würden, als weiter unter ihm zu segeln. In diesem Fall stünde die Essex plötzlich ohne Crew dar, was die Schiffseigner wohl dazu veranlasst hätte, den Posten des ersten Maats neu zu besetzen. Chase sah also seine Karriere als Walfänger gefährdet und überredete nichtzuletzt deswegen seinen Kapitän, die Fahrt wie geplant fortzusetzen. In seinem Bericht verzichtet Chase darauf, Pollards ursprünglichen Rückkehrplan zu erwähnen und beschreibt den Zwischenfall als unbedeutende Unannehmlichkeit.

Der Film geht jedoch in der Darstellung seines Helden noch weiter. Im Film ist es Chase, der nach dem Angriff des Wals unter Deck des sinkenden und brennenden Schiffs geht, um wichtige Werkzeuge und Utensilien zu retten. In seinem Bericht beschreibt Chase jedoch dankbar, dass es die Geistesgegenwart eines schwarzen Matrosen namens William Bond war, der aus eigenem Antrieb Kompasse, zwei Navigationshandbücher und zwei Quadranten aus den Offizierskabinen rettete und damit die spätere Rettung seiner Kammeraden überhaupt erst möglich machte. Bond gehörte nicht zu den Überlebenden der Essex-Katastrophe.

Schildkröten auf der Essex

Ein trauriger Fakt, der in Ron Howards Film gar nicht erwähnt wird, betrifft die Rolle der Essex im Hinblick auf das Aussterben einer ganzen Spezies. Ende des 18. Jahrhunderts diente die Pazifikinsel Floreana, damals im englischsprachigen Raum unter dem Namen Charles bekannt, als Anlaufstelle für Walfangschiffe aus aller Welt. Floreana ist eine der kleineren Inseln des Galapagos-Archipels, die auch damals schon als Heimat der riesigen Galapagos-Schildkröten bekannt waren. Die Bezeichnung Galapagos-Riesenschildkröten beschreibt jedoch keine eigene Gattung, sondern dient als Sammelbegriff für 15 Schildkrötenarten, die auf den verschiedenen Galapagosinseln endemisch vorkommen.

Wenige Tage bevor die Essex untergehen sollte, machte sie wie geplant Halt auf Floreana. Unter anderem hatte man vor, einige der riesigen Schildkröten auf der Insel zu fangen als Nahrungsquelle mit an Bord zu nehmen. Tatsächlich befanden sich zum Zeitpunkt des Walangriffs einige Riesenschildkröten an Bord der Essex, die sich mehr oder weniger frei an Bord bewegten. Während die Besatzung Jagd auf die Tiere machte, wollte einer der Männer, Thomas Chapple, seinen Kameraden einen Streich spielen und legte am Strand ein kleines Feuer. Der Brand geriet jedoch sehr schnell außer Kontrolle und die Crew der Essex konnte sich nur knapp vor den Flammen zurück an Bord retten. Als die Essex am nächsten Tag wieder in See stach, brannte die Insel immer noch und selbst nach einem ganzen Segeltag Richtung Westen war das Feuer immer noch am Horizont zu sehen. Als Thomas Nickerson einige Jahre später nach Charles Island zurückkam, war die Insel immer noch ein schwarz verkohltes Ödland. Es wird heute angenommen, dass das Feuer, das Thomas Chapple zum Spaß gelegt hatte, Abertausende von Schildkröten, Echsen und Schlangen getötet hat, die ursprünglich nur auf dieser Insel lebten. Die Floreana-Riesenschildkröte gilt jedenfalls seit 1846 offiziell als ausgestorben.

Der Angriff des Wals

Nur wenige Wochen nachdem die Essex die Galapagos-Inseln verlassen hatte, stießen die Walfänger auf eine große Schule Pottwale. Schnell machte man sich für die Jagd bereit, was bekanntlich in einer Katastrophe endete. An dieser Stelle ist Ron Howards Film ziemlich genau. Alle drei verbliebenen Walfangboote rückten aus, um mindestens einen der riesigen Meeressäugern zu töten. Bei der Jagd stieß Chases‘ Boot mit einem flüchtenden Wal zusammen, sodass er mit seiner Besatzung zurück zur Essex rudern musste, um es zu reparieren. Kaum zurück an Bord, versuchte Chase das Leck in seinem Boot zu schließen, indem er ein Stück Segeltuch darüber nagelte.

Fachleute gehen davon aus, dass sich diese Hammerschläge, die durch die Bordwand der Essex ins Meer hinaushallten, den Walbullen provoziert haben könnten, da sie sich unter Wasser wie die Klicklaute angehört haben könnten, die Wale für die Kommunikation untereinander nutzen. Es ist bekannt, dass Walschulen in der Regel überwiegend aus Walkühen und deren Kälbern, sowie einem Leitbullen bestehen. Wenn sich ein anderer Bulle der Schule nähert, zeigen die männlichen Tiere häufig ein sehr aggressives Verhalten, um den Konkurrent zu vertreiben. Bei diesen Bullenkämpfen rammen sich die beiden Kontrahenten gegenseitig und bekämpften sich mit heftigen Flossenschlägen und Bissen. Genau so verhielt sich der gigantische Pottwalbulle, der, für alle an Bord unerwartet, die Essex angriff und rammte.

Ein interessantes Detail des Angriffs lässt Chase in seinem Buch komplett unerwähnt. Erst durch Nickersons Bericht wurde bekannt, dass Chase durchaus die Chance gehabt hätte, das Sinken des Schiffes zu verhindern. Nachdem der Wal die Essex gerammt hatte, trieb er für eine Weile benommen neben dem Walfänger. Chase griff nach seiner Lanze und war bereit, das wehrlose Tier zu töten. Die Essex war zu diesem Zeitpunkt zwar schon beschädigt, allerdings noch seetüchtig. Chase befürchtete jedoch, dass der Wal in seinem schmerzhaften Todeskampf mit einem Schlag seiner Fluke das Steuerruder der Essex zerstören könnte. In diesem Fall wäre die Essex nicht mehr steuerbar gewesen. Um die Fahrt fortsetzen zu können, entschied sich Chase dafür, das Tier am Leben zu lassen. Dies stellte sich jedoch schnell als Fehler heraus.

Denn der Pottwal kam alsbald wieder zu Kräften und entfernte sich rasch von dem Schiff, mit dem er eben noch kollidiert war. Chase und seine Männer dachten, der Wal würde fliehen und machten sich eilig daran, das Leck abzudichten, das der Wal in die Schiffwand gerissen hatte. Doch der Pottwalbulle entfernte sich nicht, um zu fliehen. Stattdessen nahm er Anlauf für einen zweiten, noch heftigeren Angriff. Der 80 Tonnen schwere Pottwal rammte die Essex frontal und ließ nicht wieder von ihr ab. Vielmehr schob er das 238 Tonnen schwere Schiff rückwärts durch das Wasser vor sich her, sodass das Wasser umso schneller in das Schiff eindrang und das Schiff Schlagseite bekam und zu sinken begann. Erst dann ließ der Wal von dem Schiff ab und kehrte zu seiner Schule zurück, während die Männer auf der Essex das verbliebene Beiboot zu Wasser ließen und so viel wie möglich an Proviant und Ausrüstung zu retten versuchten.

Aus sämtlichen Aussagen der Überlebenden geht indes hervor, dass die Essex noch einige Tage an der Oberfläche trieb, sodass die Männer in den Walbooten noch eine Weile im Windschatten des gekenterten Schiffes verweilten, um sich nachts vor einem aufkommenden Sturm zu schützen und tagsüber das Wrack mehrmals gründlich nach Nützlichem und Überlebenswichtigem zu durchsuchen. Einen Brand oder gar mehrere Explosionen wie sie im Film zu bestaunen sind, gab es in Wirklichkeit nicht.

Die Angst vor homophilen Kannibalen

Nachdem die Walboote so gut es ging präpariert waren, berieten sich Kapitän Pollard und Chase darüber, welches rettende Ziel am besten anzusteuern sei. Pollard hatte zunächst vor, die Marquesas Inseln anzusegeln, die in 1200 Meilen östlicher Entfernung das nächstgelegene Festland waren. In die entgegengesetze Richtung lag in 2000 Meilen Entfernung die Küste Südamerikas. Abgesehen davon, dass letzteres eine fast doppelt so lange Strecke bedeutete, mussten die Männer auf dieser Route sowohl gegen die Strömung als auch mit ungünstigen Passadwinden segeln. Dementsprechend schloss Kapitän Pollard diese Route aus.

Chase und der zweite Maat Matthew Joy (im Filmdargestellt von Cillian Murphy) hatten jedoch Gerüchte gehört, dass die Marquesas Inseln von Eingeborenen bewohnt waren, dich sich nicht nur dem Kannibalismus verschrieben hatten, sondern auch noch homosexuellen Praktiken nachgingen. Im Gegensatz zu den kannibalischen Vorlieben gilt zumindest letzteres unter den meisten Anthropologen heute als gesichert. Jedenfalls beschlossen die Offiziere der gesunkenen Essex, dass die Marquesas Inseln auf jeden Fall zu meiden wären.

Pollards Alternative sah vor, die etwas weiter südwestlich liegenden Gesellschaftsinseln anzusteuern. Diese lagen mit knapp 2000 Meilen quasi genauso weit entfernt wie das südamerikanische Festland, wären aber dank der günstigen Meeresströmung und Winde in etwa 30 Tagen zu erreichen gewesen. Chase und Joy wussten jedoch nichts Konkretes über die Gesellschaftsinseln und hatten Angst, dass auch dort homosexuelle Kannibalen auf sie warten könnten. Also überredeten sie ihren Kapitän, gegen jede Vernunft richtung Osten nach Südamerika zu segeln.

Diverse Zeitungsartikel aus den Jahren vor dem Untergang der Essex belegen, dass bereits seit Beginn des 19. Jahrhunderts Handelsschiffe auf dem Weg nach China bedenkenlos Zwischenstops auf den Marqesas Inseln einlegten. Auch Tahiti, eine der sogenannten Gesellschaftsinseln, wurde bereits seit 1797 als englische Missionsstation betrieben und konnte demnach 1820 bedenkenlos als zivilisiert angesehen werden. Die Führung der Essex, allen voran Owen Chase und Matthew Joy, hingen schlicht und ergreifend einem nicht mehr zeitgemäßen Weltbild hinterher, das die Crew letztendlich ins Verderben schickte. Hätten die Schiffbrüchigen Kurs auf die Marquesas Inseln oder Tahiti genommen, wäre ihnen das ganze Martyrium vermutlich erspart geblieben. Aus einer bereits damals widerlegten Angst vor Kannibalen entschloss man sich jedoch dazu, gegen die Strömung und den Wind, lieber einen bekannten Hafen in Südamerika anzusteuern, der obendrein noch einen erheblichen Umweg bedeutete. Von dieser Entscheidung, die letztendlich von Kapitän Pollard getroffen wurde, grundsätzlich aber auf die Überzeugungsarbeit des Obermaats Chase zurückzuführen ist, erzählt Ron Howard in seinem Film nichts.

Auf hoher See

Nachdem die Route ins Verderben festgelegt worden war, begann für die Männer von der Essex der tatsächlich schlimmste Teil der Reise. Dieser steht sowohl im Film als auch in Philbricks Buch im Mittelpunkt der Erzählung. Allerdings nicht sich die Vorlage deutlich mehr Zeit, die physischen und psychischen Qualen der Schiffbrüchigen durch Hunger, Durst, Kälte, Hitze, Wind und Tabakentzug zu beschreiben. Im Film müssen die Männer dafür in der ständigen Angst leben, dass der Wal, der die Essex zum Sinken brachte und sie seither rachsüchtig verfolgt, erneut angreifen könnte. Dieser Teil der Geschichte ist jedoch reine Fiktion, da der Pottwal nach dem Angriff auf die Essex zurück zu seiner Schule schwamm und die Männer ihn nie wieder sahen. Dafür wurden sie auf ihrer Reise über den Ozean einmal von einem Orca und ein anderes Mal von einem riesigen Hai angegriffen, was beides glimpflich ausging.

Im Film wird zudem ein heikles Gerücht aufgegriffen, dass in Nantucket Jahre später über den in Ungnade gefallenen Kapitän Pollard die Runde machte. Als auf Pollards Boot gelost wird, wer erschossen werden soll, damit die anderen Überlebenden etwas zu essen haben, fällt in Ron Howards Film das Los auf Pollard. Bevor dieser jedoch getötet wird, opfert sich Pollards Cousin Henry Coffin für den Kapitän, um diesen zu retten. Henry hieß übrigens in Wirklichkeit Owen Coffin. Vermutlich hielt man zwei Seemänner mit dem Vornamen Owen für das Publikum für zu verwirrend. So oder so gaben jedoch alle Überlebenden Zeugen an, Kapitän Pollard selbst mit eingeschlossen, dass es, anders als im Film dargestellt, wirklich Coffin war, der gelost wurde und Pollard sich sogar für seinen Cousin opfern wollte. Coffin lehnte jedoch ab und wollte sein Schicksal selbst tragen.

Zurück in der Heimat

Letztendlich wurden von den ursprünglich 21 Besatzungsmitgliedern der Essex 8 Männer gerettet: Kapitän George Pollard, Erster Offizier Owen Chase, Steuerleute Benjamin Lawrence und Thomas Chapple, von denen letzterer für das Feuer auf den Galapagos-Inseln verantwortlich war, die Matrosen Charles Ramsdell, Seth Weeks, William Wright und der Schiffsjunge Thomas Nickerson. Weeks, Wright und Chapple hatten sich während eines Aufenthalts auf der einsamen Insel Henderson dazu entschieden, zurück zu bleiben und auf eine mögliche Rettung zu warten. Alle drei wurden einige Woche nach ihren Kameraden gerettet. Von den zehn Schiffbrüchigen, die nicht in den Heimathafen zurückkehrten, wurden drei auf See bestattet, sieben wurden aufgegessen, um das Überleben der Kameraden zu sichern und zwei der Seeleute blieben mitsamt des dritten Walfangbootes verschollen. Der Matrose Henry Dewitt hatte sich bereits während eines Zwischenaufenthalts, vermutlich aufgrund schwerwiegender Differenz mit Owen Chase, in Ecuador abgesetzt und war dem Schicksal der Essex somit entkommen.

Nachdem die Besatzung nach Nantucket zurückkehrte, kam es zu einer Anhörung, um den Vorfall auf See aufzuarbeiten. Im Film drängen die Schiffseigner Chase und Pollard dazu, die Wahrheit zu verschweigen und zu behaupten, das Schiff sei wegen menschlichen Versagens auf Grund gelaufen. Ein öffentlich kommunizierter Walangriff, hätte unabsehbare Folgen für die Walfangindustrie gehabt. Chase und Pollard bleiben jedoch standhaft und beharren auf die Wahrheit. Für Chase bedeutet das, dass er auf die in Aussicht gestellte Beförderung zum Kapitän verzichtet, dem Walfang den Rücken kehrt und als geläuterter Mann zu seiner Frau zurückkehrt und zur Handelsmarine wechselt.

Der echte Chase blieb dem Walfang jedoch treu und heuerte nur wenige Monate nach seiner Rückkehr auf dem nächsten Walfangschiff an. Zuvor hatte Chase seine Erlebnisse in Form des eingangs erwähnten Berichts veröffentlicht. Mit seiner Frau Peggy (im Film gespielt von Charlotte Riley) hatte er mehrere Kinder, wobei Peggy zwei Wochen nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes William starb. William Chase war es dann, der 16 Jahre später Herman Melville bei einem zufälligen Treffen ein Exemplar des Berichts seines Vaters über den Untergang der Essex überließ. Dieser Bericht inspirierte Melville letztendlich zu seinem Roman „Moby Dick.

Wenige Monate nach Peggys Tod heiratete Chase Nancy Joy, die Witwe des ersten Maats der Essex. Auch mit ihr hatte Chase eine Tochter, doch auch Nancy starb wenige Wochen nach der Geburt des gemeinsamen Kindes. Durch den Walfang gelangte Chase in den folgenden Jahren zu einigem Reichtum, der es ihm ermöglichte, ein eigenes Walfangschiff namens „Charles Carrol“ fertigen zu lassen, auf dem einige Jahre später ebenfalls in See stach. Doch die Erlebnisse auf der Essex suchten Chase den Rest seines Lebens heim und er litt in den Folgejahren unter psychischen Problemen. Nachdem sich Chase zur Ruhe gesetzt hatte, wurde er sogar für etwa acht Jahre in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen. Nach seiner Entlassung lebte Chase zurückgezogen auf Nantucket, wo er 1869 im Alter von 71 Jahren starb.

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